Best Practice „Pizza & Politik“

Best Practice Interview

Ein Gespräch mit MdB Lars Castellucci

Wer die Homepage des Bundestagsabgeordneten Lars Castellucci aufruft, wird direkt dazu eingeladen, aktiv zu werden. „Politik mache ich am liebsten mit anderen zusammen. Vielleicht mit Ihnen? Es gibt viele Möglichkeiten zum Mitmachen“, steht dort geschrieben. Diesen Worten lässt der Sozialdemokrat aus dem Rhein-Neckar-Kreis auch Taten folgen, immerhin ist das bekannte und bei Jugendlichen wie Mandatsträgerinnen gleichermaßen beliebte Jugendbeteiligungsformat „Pizza & Politik“ auf sein Wirken hin entstanden.

Wir wollten von ihm wissen, wie es funktioniert und was Pizzaessen mit Politik zu tun hat.

Herr Abgeordneter Castellucci, wie haben Sie sich eigentlich in Ihrer Jugend beteiligen können?

In der Schule war ich zwischendurch Klassensprecher, aber richtige Beteiligungsformate gab es damals in den 80er Jahren meines Wissens nach bei uns nicht. Wir haben uns dann selbst beteiligt. Als ich etwa acht Jahre alt war, traf ich mich zum Spielen mit anderen Kindern auf einem größeren, unbebauten Grundstück, auf dem wir herumtoben konnten. Irgendwann hatten wir eine Art Rollenspiel begonnen. Wir spielten in einem eigenen Land zu leben, mit einer eigenen Währung, eigener Zeitung und eigenen Gesetzen. Wir hatten auch einen Kanzler (ich vermute, dass ich das war) und einen Finanzminister.

Sie haben Beteiligung also in einer Art Komfortzone erprobt. Interessant! Aber das ist ja noch keine echte Beteiligung, oder?

Warten Sie ab. Eines Tages beschlossen wir, dass es in unserem Land einen Bolzplatz geben sollte und ich schrieb den „echten“ Oberbürgermeister der Stadt Wiesloch an. Und der schrieb tatsächlich zurück. Und er tat das ganz ernsthaft, obwohl unser Anliegen aus seiner damaligen und unserer heutigen Sicht völliger Quatsch war. Denn nur zwei Straßen weiter gab es bereits einen Bolzplatz. Das wussten wir auch, nur waren wir zu faul dorthin zu gehen. Dem Brief folgte dann noch eine Einladung ins Rathaus. Ich habe das damals als Kind nicht weiter reflektiert. Heute würde ich sagen, dass das ein vorbildlicher Umgang, noch dazu mit Schülerinnen und Schülern, gewesen ist. Ein Anliegen, auch wenn es objektiv keine Berechtigung und keine Chance auf Umsetzung hat, ernst zu nehmen, zuzuhören, zu erklären und gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Ich vermute, wir waren recht zufrieden, obwohl wir in der Sache nichts erreicht hatten. Aber angehört und ernst genommen zu werden, war schon viel. Demokratie verlangt genau das: sich gegenseitig ernst zu nehmen und auf Augenhöhe zu begegnen.

Sie sind uns als der geistige Vater des Formats „Pizza & Politik“ bekannt. Wann und wo wurde das Format erstmals von Ihnen und Ihrem Team durchgeführt?

Das war im September 2014, damals allerdings noch ohne Pizza. Pizza gab es erst beim nächsten Treffen und Pizza & Politik hieß das Format dann ab Juli 2016. 

Bildergebnis für Lars Castellucci    

Zur konkreten Durchführung gilt es zu wissen: wie Sie zur Veranstaltung einladen, welche Orte dafür geeignet sind und wie viel Zeit für die Umsetzung einzuplanen ist. Erzählen Sie mal …

Also grundsätzlich ist es kein Hexenwerk. Das erste Treffen fand einfach in meinem Büro statt. Nicht gerade ein jugendgemäßer Ort, aber vielleicht gerade deshalb interessant. Die sozialen Medien wie Facebook oder Instagram sind wichtig. Jugendliche, die mir hier folgen, erhalten hierüber zum Beispiel eine persönliche Einladung. Im Sommer sitzen wir auch mal auf Pappkartons mitten auf einem Marktplatz. Wir arbeiten das Konzept immer weiter aus. Es gibt eine Art Handbuch und Prozessübersichten, aus denen jeder Schritt hervorgeht. Dieses Wissen teilen wir auch gerne und lernen wiederum von anderen Beispielen.

Geben Sie bei Ihren „Pizza & Politik“ Events die Themen vor oder können Jugendliche selbst darüber mitbestimmen, über was geredet wird?

Anfangs habe ich begrüßt und mich dabei persönlich vorgestellt und auch ein paar Themen angeschnitten. Heute übernimmt eine der Jugendlichen die Begrüßung selbst und dann gibt es eine Vorstellungsrunde, in der die Teilnehmenden ihre Themen setzen können.

Gibt es eine Art „Faktencheck“, reichen Sie auch mal Antworten nach? Und daran anknüpfend, waren Sie schon einmal „überfragt“ oder „sprachlos“? – Ein Zustand den ich mir ehrlich gesagt bei Ihnen nur sehr schwer vorstellen kann.

Danke für das Kompliment, aber die Jugendlichen sind wie andere Leute auch häufig sehr kompetent, wenn es um Themen geht, die sie interessieren. Mit denen über Uploadfilter oder den Klimawandel zu diskutieren ist schon fordernd. Es kommt sogar häufig vor, dass ich etwas nachreiche. Oder sogar einen Kollegen bzw. eine Kollegin bitte, mal dazuzukommen, wenn die Jugendlichen ein spezielles Thema immer wieder anschneiden. So war unser Staatssekretär Christian Lange schon zu Gast bei Pizza & Politik. Christian hat zum Beispiel über Fake News gesprochen und wie wir auch im Internet Regeln durchsetzen können. Das ist wichtig. Fast noch wichtiger finde ich aber, dass die Jugendlichen erleben, dass es einfach unterschiedliche Meinungen, Interessen, Sichtweisen gibt und es in der Politik darauf ankommt, eine gute Lösung für möglichst alle zu finden.

Was glauben Sie, wie wirkt das gemeinsame Essen bei „Pizza & Politik“ auf die Atmosphäre? Was macht das Format mit uns?

Essen und Trinken ist immer eine gute Idee. Auch bei anderen Veranstaltungen bewirten unsere Ortsvereine häufig mit leckeren Sachen und schon ist die Stimmung eine andere, vor allem wenn es einmal länger geht. Beim Pizzaessen unterbrechen wir die Runde und ich kann dann von Gruppe zu Gruppe gehen und auch mit denen reden, die sich in der großen Runde vielleicht nicht zu Wort melden.

Ich habe selbst schon eine Ihrer Veranstaltungen besucht und dabei erlebt, wie das Format ganz unterschiedliche Jugendliche erreicht, es ist ja auch ein niedrigschwelliges Angebot. Ist denn auch mal etwas dabei schiefgelaufen? Gab es beispielsweise echten Streit zwischen Teilnehmenden oder ähnliches?

Streit ist erwünscht. Ich lade alle dazu ein, mir zu widersprechen, wenn sie anderer Meinung sind. Sonst macht es ja keinen Sinn. Richtig schief gelaufen ist noch nichts. Ich bin einigermaßen perfektionistisch: ich kann es beispielsweise nicht leiden, wenn jemand irgendwo alleine herumsteht und die anderen lieber auf diejenigen zugehen, die sie schon kennen. Alle sollen sich wohlfühlen, das ist mir wichtig.

Was glauben Sie, ist der größte Erfolg von „Pizza & Politik“?

Dass es seit vielen Jahren funktioniert und fast schon zu einer Marke geworden ist. Bei unseren letzten Kommunalwahlen sind nun einige, die bei Pizza & Politik aufgetaucht waren, als Ortschaftsräte oder Gemeinderäte gewählt worden, junge Frauen und Männer, zum Teil keine zwanzig Jahre alt. Das ist doch fantastisch.

„Pizza & Politik“ ist inzwischen dutzende Male nachgeahmt worden, was sie ja auch ausdrücklich begrüßen. Tatsächlich wird ja aber nur das Event an sich und nicht die Vor- und Nacharbeit, die sie eben auch leisten, „kopiert“. Bitte schildern Sie uns, wie „Pizza & Politik“ für Sie zu einem nachhaltigen Format wird.

Das ganze Leben besteht aus Beziehungen. Es ist wichtig, dranzubleiben, Folgeangebote zu machen, die besonders Interessierten zu fördern. Das ist die individuelle Ebene. Gleichzeitig arbeite ich daran, Pizza & Politik auch organisatorisch zu entwickeln, damit es nicht von Personen abhängig bleibt. Dazu möchte ich auch über Parteigrenzen hinweg die Zusammenarbeit suchen, um das Projekt nach Möglichkeit bundesweit zu etablieren und dabei auch die Qualität immer weiter zu verbessern. Alle Jugendlichen sollten unkomplizierten Zugang zu ihren Abgeordneten oder der Bürgermeisterin bzw. dem Bürgermeister haben. Die nächste Generation muss ja irgendwann übernehmen …

Sie haben Fragen an Lars Castellucci oder zum Format Pizza & Politik, dann schreiben Sie uns eine Mail: lars.castellucci@bundestag.de und schmitt@jugendstiftung.de

Das Interview führte Melanie Schmitt im Januar 2020

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